Besigheimer Stadtgerechtigkeiten – Das «Schieß-Garten-Thor»
Zum Bestand des Besigheimer Stadtarchivs gehören vier Bände, die unter dem Titel «Stadtgerechtigkeiten» verzeichnet sind. Sie enthalten nicht nur Abschriften wertvoller Pergamenturkunden und alter Vertragsaufzeichnungen, sondern auch eine Vielzahl gewohnheitsmäßiger Rechte und Privilegien, die bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts zurückreichen. Das älteste der vier Bücher wurde in den 1580er Jahren begonnen, als Besigheim zahlreiche Prozesse mit seinen Nachbarorten führte und sich dabei der überlieferten Rechtsaufzeichnungen bediente. Da diese lange Zeit in einem unterirdischen Gewölbe des Rathauses aufbewahrt wurden, begann man die Urkunden abschreiben zulassen, um sie nicht immer herauftragen zu müssen. Zu den wichtigsten «Stadtgerechtig-keiten» zählten die Marktgerechtigkeit, das Wegegeld, das Holzkaufrecht und die Steuerfreiheit. Darüber hinaus lassen sich noch andere Eintragungen finden, wie das nun folgende Beispiel belegt:
Es handelt sich um die mehrseitige Abschrift einer Urkunde aus dem Jahr 1793, die in zehn Abschnitten beschreibt, unter welchen Voraussetzungen die Stadtmaueröffnung am einstigen Schießgarten, das sogenannte «Schieß-Garten-Thor», gestattet wurde. Sie beginnt mit den Worten:
«Kund und zu wissen seye, daß die ehrmalige[n] Besitzer der Ziegel-Hütte allhier zu Besigheim, H. Johannes Durian, des Raths, und seine beede[n] Söhne, iung Johannes, und Christian Friedrich, die Durianen, dem Herrn Carl Ferdinand Essich, Geistlichen Verwalter allhier, und Closter Denkendorfschen Keller zu Walheim, als Besitzer des sogenannten Schießgartens, die Durchfahrt durch ihren Ziegelhütte-Hof zu ermeldtem Garten, aus Gefälligkeit, unter gewissen Einschränkungen, zugestanden haben.»
Besagter Schießgarten, dessen Name sich von einem längst abgegangenen Schießhaus ableitet und der vielen Besigheimern auch als Schnell’scher bzw. Pfeiffer’scher Garten bekannt ist, war einst ein Baum-, Gras- und Küchengarten, der sich seit 1740 im Besitz des Besigheimer Vogtes Victor Stephan Essich befand. Nach dessen Tod 1775 erbte sein Sohn Carl Ferdinand Essich, Geistlicher Verwalter zu Besigheim und Kloster Denkendorf’scher Keller in Walheim, den Garten und ließ ihn in der Folgezeit zu einem Wengert umgestalten. Unweit davon, im hinteren Bereich der Mühlgasse, befand sich die Ziegelei, die einen abgeschlossenen Bezirk bildete, den Ziegelhüttenhof, der seit 1694 der Familie Durian gehörte. Schießgarten und Ziegelhüttenhof trennte die Stadtmauer, die, anders als heute, noch geschlossen vom Enzufer hinauf zur Bügelestorstraße und dem einstigen Bügelestor führte. Da der Schießgarten über keinerlei Zufahrtsmöglichkeiten verfügte, bat Carl Ferdinand Essich 1793 den Magistrat um Erlaubnis, die Stadtmauer öffnen zu dürfen. Doch dazu bedurfte es des Einverständnisses der Ziegelhüttenbesitzer, die sich wiederum auf das Recht eines geschlossenen Hofes berufen konnten. Dass Essichs Ansinnen kein leichtes war und mit zahlreichen Zugeständnissen einherging, belegen die zehn Klauseln der oben genannten Urkundenabschrift, die im Vorfeld der Maueröffnung zwischen Essich und den Ziegelhüttenbesitzern ausgehandelt wurden. So hatte Essich die Kosten für die Stadtmaueröffnung selbst zu tragen und den Mauerdurchbruch «mit einem doppelten Thor, und mit zwey Schlössern und zween Schlüsseln» zu versehen, von denen der eine dem Ziegler zu übergeben war. Zudem sollte das Tor nur dazu dienen, «um Thung in den Garten hinein, und Most, Erdbirnen, Vieh-Futter, auch anderes, aus demselben herauszuführen zu können. Zum Fuhrwerk also allein […]», wie es weiter heißt. Dabei durfte der Ziegelhüttenbetrieb in keiner Weise gestört oder behindert werden. Ausdrücklich wurde festgelegt, «daß so offt eine Fuhr durch den Hof der Ziegelhütte, zu und aus dem Essichschen Garten verrichtet werden will, vorgängig bei dem Ziegler die Anfrage geschehen muß, ob man, ohne dem Ziegler bey seinem Handwerk Ungelegenheit zu machen, durch den Hof fahren könne […]». Hinzukam, dass das Durchfahrtsrecht allein Essich und seiner Frau zugestanden wurde, sofern diese nach dem Tod ihres Mannes Besitzerin des Schießgartens blieb. Die wohl wichtigste Klausel findet sich am Ende der Urkundenabschrift. Sie bestimmt, dass «Wenn diese Vergünstigung zum Verdrus der Ziegelhütte-Besitzer mißbraucht werde, oder der Schießgarten auf einen anderen Namen kommen sollte: So ist gedachte Vergünstigung ohne weiteres, eben damit aufgehoben und gänzlich gefallen. Die Ziegelhütte-Besitzer haben in erwähnten beeden Fällen, daß hiermit selbst ergebene Recht, die Oeffnung in der Stadtmauer zuzumauern, und gegen die Kosten, die sie deswegen haben, die Thüren samt Band und Schlössern sich zuzueignen.»
Ergänzt wird das Vertragswerk, das unter Hinzuziehung zweier Zeugen von Carl Ferdinand Essich und den Besitzern des Ziegelhüttenhofs am 8. März 1793 unterzeichnet wurde, um die wohlwollende Bitte der «Magistrat’schen Genehmhaltung». Diese erfolgte am 14. März 1793 unter dem Vorbehalt «die Zumauerung der Oeffnung nach dem zehenden und lezten Punkten zu verfügen, wenn nicht nur Mißhelligkeit unter den Interessenten sondern auch causæ publicæ [öffentliche Beweggründe] es erfordern sollten.»
Das «Schieß-Garten-Thor» existiert, obgleich zugemauert, noch heute. Es wurde vor ein paar Jahren von Mitgliedern des Freundeskreises Stadtbild Besigheim freigelegt und lässt im Torbogen die Inschrift «C.F.E. 1793» erkennen.