Historische Ansicht der oberen Enzpartie (Mitte 18. Jahrhundert)
Historische Karten und Pläne sind überaus wertvolle Zeitdokumente. Sie erlauben nicht nur interessante und überraschende Einblicke in die Vergangenheit, sondern verraten auch aufschlussreiche Details über das frühere Orts- und Landschaftsbild. Zahlreiche Karten, vor allem ältere, verdanken Streitfällen und Prozessen ihre Entstehung und sind häufig als Beilagen zu Gerichtsakten zu finden. Sie wurden im betroffenen Gelände bei Ortsbegehungen, sogenannten Inaugenscheinnahmen, gefertigt, um räumliche Zusammenhänge besser verständlich machen zu können.
Solch eine Augenscheinkarte befindet sich auch im Besigheimer Stadtarchiv. Sie zeigt die älteste bekannte Ansicht vom Bereich der oberen Enzbrücke mit dem ehemaligen Gasthaus «Zur Sonne». Die handkolorierte Zeichnung, die eine Größe von 41 x 30 cm misst, wurde anlässlich eines Rechtsstreits zwischen dem Sonnenwirt Johann Christoph Landauer und der Stadt Besigheim gefertigt. Die Karte ist weder datiert noch bezeichnet, doch kann mit Hilfe der Bildlegende (die im Folgenden Kursiv wiedergegeben wird) und der überlieferten Amtsbücher eine Entstehungszeit zwischen 1741 und 1744 angenommen werden.
Die Ansicht ist nach Westen ausgerichtet und zeigt das oberhalb der Enz befindliche, überaus stattlich dargestellte Gasthaus «Zur Sonne» (Die Herberg und das Haus), dem sich auf der linken Seite ein großer abgetrennter Garten anschließt (Kuchingartt hinter dem Haus). Das Grundstück ist dreiseitig von Mauern und Zäunen umgeben; ein auffallend langes Mauerstück ist oberhalb des Enzufers über die gesamte Grundstücksbreite gezeichnet (Die zu Beschüzung der Herberg zu führen vorhabende Mauer). Bäume sind im hinten angrenzenden Gartenbereich, vor allem jedoch entlang des oberen Enzufers direkt am Wasser zu sehen. Vor dem Gasthaus, in unmittelbarer Nähe zum Fluss, befindet sich ein kleines Gebäude – das schädliche Waschhaus. Der Bereich zwischen Enzufer, Waschhaus und Mauer ist gesondert hervorgehoben und als allzu hoch erhöhte Gestadt benannt. Ferner sind die Enzbrücke (Die Bruckhen mit ihrem Joch), das Mühl Wörtlen, die Stadtmühle (Die Statt Mühlen), der Mühlgraben (Mühl graben) und die Stadtmauer (Statt Mauern) nachgebildet. Dargestellt, aber auf der Bildlegende nicht weiter berücksichtigt, sind das äußere sowie das innere Enzbrückentor mit ihren jeweiligen Torhäusern. Da die Ansicht, allein betrachtet, noch nichts über den Streitfall verrät, ist ein Blick in die dazugehörigen Akten und Amtsbücher unerlässlich, die ausführlich berichten:
Konkret hatte Landauer, der 1735 die Gastherberge «Zur Sonne» anstelle eines früheren Werkhauses unmittelbar an der Enz errichtet hatte, ohne Genehmigung der Stadt ein Waschhaus direkt am Fluss gebaut, mehrere Mauern und einen Zaun hochgezogen, zudem die Uferböschung erhöht und mit Weidenbäumen bepflanzt. Erstmals aktenkundig wurden diese Vorkommnisse im Frühjahr 1741, als Landauer wegen eines anderen Delikts öffentlich angezeigt und gerichtlich belangt wurde. Sein daraufhin eingelegter Widerspruch führte zu weiteren Untersuchungen, die sein «unrechtmäßiges Bauwesen» überhaupt erst offenbar werden ließen und einen sofortigen Abriss des Waschhauses und der nahe am Enzufer errichteten Mauern verlangten, – «aus Sorge vor größeren Gewässern, vor allem vor Eisgängen», die sowohl die Enzbrücke als auch die Stadtmühle hätten beschädigen können. Dagegen protestierte Landauer und erreichte eine gütliche Beilegung des Streits vor dem städtischen Gericht, dem er als Gerichtsverwandter selbst angehörte. Waschhaus und Mauern durften stehen bleiben, während eine nochmalige Erhöhung des Enzufers untersagt und weitere Baumpflanzungen verboten wurden. Zudem musste er sich verpflichten, die bereits bestehenden Weidenbäume nicht höher wachsen zu lassen. Unabhängig davon versprach Landauer, für zukünftige Hochwasserschäden an der Stadtmühle und an der Enzbrücke aufkommen zu wollen, sofern sie durch sein Waschhaus und seine Mauern verursacht würden, und versprach in einem solchen Fall, diese ohne Widerrede sofort abreißen zu lassen. Der Streitfall schien damit beendet und zur Zufriedenheit des Landauer erledigt. Doch bereits im Jahr darauf wurde der Sonnenwirt erneut vorstellig, als er um gerichtliche Erlaubnis zur Erbauung eines neben dem Waschhaus gelegenen Schweinestalls bat – direkt auf dem allzu hoch erhöhten Gestadt. Zwar wurde das Vorhaben unter Berufung auf den ausgehandelten Vergleich abgelehnt, doch wollte Landauer dies in der Folgezeit nicht klaglos hinnehmen. Er beschwerte sich an höherer Stelle, was mehrere Einträge in den Akten sowie ein Anschreiben an Herzog Carl Eugen aus dem Jahr 1744 belegen. Schließlich verkaufte Landauer sein Anwesen 1745 an den fürstlich württembergischen Posthalter Johann Michael Mercker, der kurze Zeit danach die gerichtliche Auflage erhielt, das Waschhaus abreißen und die Weidenbäume fällen zu lassen.